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Interview
Peiner Träger: Vom Stahlklassiker zur grünen Innovation
Seit über 150 Jahren prägen die Peiner Träger die Stahlbaugeschichte – mit einer Innovation aus Peine, die weltweit Maßstäbe gesetzt hat. Heute gestaltet das Unternehmen im Verbund des Salzgitter-Konzerns mit einer nachhaltigen Ausrichtung auf Kreislaufwirtschaft und CO₂-reduzierten Produkten die Transformation der Stahlindustrie aktiv mit. Im Interview mit Dr.-Ing. Jan Schmidt, Vorsitzender der Geschäftsführung der Peiner Träger GmbH, sprechen wir über technologischen Fortschritt, Nachhaltigkeit im Bauwesen und die Erwartungen an Politik und Wirtschaft.
Peine Marketing: Herr Schmidt, der parallelflanschige Breitflanschträger, bekannt als „Peiner Träger“, wurde 1914 entwickelt und patentiert. Welche Bedeutung hatte diese Innovation aus Peine damals für die Stahlindustrie?
Jan Schmidt: Es macht uns schon ein bisschen stolz, sagen zu können, dass das Patent für den Doppel-T-Träger von uns stammt, der sich global als wichtiges Konstruktionselement und Standardbauteil für Tragwerksstrukturen etabliert hat. Damit kann man effizienter und schneller bauen – im Vergleich zu geschweißten Konstruktionen, die man aus Blechen fertigen müsste. Der massive Träger spart Zeit und Kosten für den Kunden. Am Grundgedanken unseres Kernprodukts hat sich bis heute nichts geändert.
Peine Marketing: Dafür befindet sich der Produktionsprozess im Wandel: Wie ist die Peiner Träger GmbH bei der Transformation zur dekarbonisierten Stahlproduktion aufgestellt und welche Rolle spielt „grüner Strom“ dabei?
Jan Schmidt: Seit 1995 betreiben wir eine emissionsarme Elektroofenroute mit hundert Prozent Stahlschrottquote – in diesem Jahr feiern wir das 30-jährige Jubiläum. Themen wie Recycling beziehungsweise „Circularity“, die derzeit verstärkt auf der Agenda stehen, sind für uns kein Trend, sondern seit Jahrzehnten gelebte Praxis.
2023 haben wir für unsere Grünstahlprodukte auf zertifizierten Ökostrom umgestellt. Damit haben wir den CO₂-Ausstoß pro produzierte Tonne im Produktionsprozess um fast die Hälfte reduziert – eine immense Hebelwirkung. Wir setzen dies verbindlich um, indem wir „Power Purchase Agreements“ abschließen. Über diese langjährigen Verträge beziehen wir Ökostrom aus Windparks. Das heißt, wir bekommen Strom aus einer konkret zugeordneten Quelle – und zwar auch dann, wenn wir ihn gerade nicht selbst verbrauchen. Überschüsse verkaufen wir weiter.
Peine Marketing: Welche Rolle spielt Wasserstoff bei der Transformation?
Jan Schmidt: Wasserstoff ist der nächste große Schritt, aber für uns nicht der entscheidende Hebel. Der Umstieg auf Grünstrom war für uns viel wirkungsvoller. Wasserstoff soll künftig Erdgas als Energieträger für die Öfen der Walzstraße ersetzen. Wir haben uns frühzeitig für das Wasserstoff-Kernnetz angemeldet. Die Umsetzung wird noch etwas dauern, aber wenn Wasserstoff verfügbar ist, werden wir bereit sein. Das ist der nächste Entwicklungsschritt hin zu einer „Near Zero“ dekarbonisierten Produktion.
Peine Marketing: Welche konkreten Maßnahmen haben Sie zuletzt im Unternehmen umgesetzt, um noch nachhaltiger zu werden – und was ist für die Zukunft geplant?
Jan Schmidt: Ein Beispiel ist die Wärmerückgewinnung. 2024 haben wir eine Dampfturbine zur Stromerzeugung in Betrieb genommen. Im Walzprozess entsteht sehr viel Abwärme – diese nutzen wir nun, um daraus Strom zu erzeugen. Damit steigern wir die Energieeffizienz deutlich. Wir achten zudem stärker auf den ökologischen Fußabdruck unserer eingesetzten Rohstoffe. Diese kaufen wir gezielt aus Quellen mit möglichst niedrigem CO₂-Footprint – wie beispielsweise Silicomangan aus Frankreich.
Außerdem arbeiten wir daran, verstärkt CO₂-ärmere Transportmittel einzusetzen. Aktuell haben wir ein zusätzliches Binnenschiff pro Woche eingeführt. Statt mit dem Lkw gehen etwa 1.200 Tonnen Ware pro Schiff zu einem Lager- und Handelsstandort in die Niederlande. In Zukunft sollen Schubverbände eingesetzt werden, um weitere Effizienzpotenziale zu heben. Diese Schiffe werden speziell für unsere Anforderungen zentral und im Zusammenspiel mit unserer Schwester Salzgitter Flachstahl GmbH angeschafft.
Peine Marketing: Von der Produktion und dem Transport zum Produkt selbst: Welche Rolle spielen die Peiner Träger bei der Dekarbonisierung im Bauwesen?
Jan Schmidt: Stahl kann unbegrenzt recycelt werden, ohne Einbußen bei der Qualität und durch den Einsatz von 100 Prozent Stahlschrott in der Rohstahlerzeugung haben unsere Stahlprodukte einen geringeren CO₂-Fußabdruck im Vergleich zu anderen Baustoffen.
Stahl ist zudem langlebig und belastbar und ermöglicht schlanke und effiziente Konstruktionen. So können Bauwerke mit geringem Materialeinsatz realisiert werden, was Ressourcen spart. Durch standardisierte Längen und verschraubte Verbindungen kann der Aspekt der Wiederverwendung schon von Anfang an berücksichtigt werden. Genau deshalb sprechen wir nicht nur von Recycling, sondern von „Re-Use“, also Wiederverwendung im eigentlichen Sinne. Das geht noch einen Schritt weiter in Richtung Kreislaufwirtschaft.
Peine Marketing: Wie will die Peiner Träger GmbH ihre Marktposition in der CO₂-armen Stahlproduktion festigen?
Jan Schmidt: Wir haben in den vergangenen zwei Jahren mit der technischen Kundenberatung eine neue Abteilung aufgebaut mit dem Ziel, verschiedene Stakeholder wie Architekten, Bauherren, Statiker, Fachplaner und Investoren für die Vorteile des Bauens mit Stahl zu sensibilisieren. Es geht darum, objektiv zu informieren und konkret zu zeigen, was mit Stahl möglich ist. Dazu gehört auch der Dialog mit Hochschulen und auf Fachkongressen, um die nächste Generation von Architekten und Ingenieuren frühzeitig mitzunehmen.
Peine Marketing: Was ist das Besondere an Peiner Trägern aus „SALCOS® Structural Steel“?
Jan Schmidt: „SALCOS®“ steht für „Salzgitter Low CO₂ Steel“ und ist die Grünstahl-Produktmarke der Salzgitter AG – unserer Konzernmutter - für besonders CO₂-reduzierten Stahl. Früher bezog sich der Begriff nur auf die Herstellung. Jetzt steht er für eine Produktfamilie, die ambitionierte Nachhaltigkeitskriterien erfüllt. Die DNA der Peiner Träger GmbH war frühzeitig auf Recycling ausgerichtet, daher hatten wir gute Startbedingungen. Mit der SALCOS®-Variante unseres Produkts erreichen wir 47 Prozent weniger CO₂ bei nur fünf bis zehn Prozent höherem Materialpreis. Das macht das Produkt für Investoren interessant, die etwa eine DGNB-Zertifizierung (Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen) anstreben. Leider fehlt aktuell noch ein klarer politischer Impuls, der dieses nachhaltige Bauen stärker fördert.
Peine Marketing: Welche Unterstützung wünschen Sie sich außerdem von der Politik?
Jan Schmidt: Zum einen brauchen wir faire Wettbewerbsbedingungen. Wenn Billigimporte aus Drittstaaten den Markt fluten, müssen Zölle greifen. Die neuen „EU-Safeguards“ – also Zollkontingente, welche die europäische Stahlindustrie vor Importüberschüssen schützen sollen –, sind aus unserer Sicht eine gute Weiterentwicklung. Darüber hinaus brauchen wir Planungssicherheit wie etwa eine langfristige politische Strategie für Wasserstofftechnologien sowie eine Senkung der Strompreise und der damit verbundenen Netzentgelte.
Die öffentliche Hand hat die Fördersumme von rund einer Milliarde Euro für die erste Stufe der Transformation im Salzgitter-Konzern bereitgestellt. Die öffentliche Hand muss nun auch dafür sorgen, dass in Ausschreibungen klimafreundlicher Stahl bezogen werden kann – das sehen wir bislang nur in wenigen Leuchtturmprojekten. Für den privaten Sektor braucht es wirtschaftliche Anreize wie steuerliche Vergünstigungen, Zinsvorteile oder Finanzierungshilfen, um Investitionen in nachhaltige Bauprojekte attraktiver zu machen.
Peine Marketing: Welche Ansätze gibt es bereits?
Jan Schmidt: Ein Schritt in die richtige Richtung ist das neue LEES-System (Low Emission Steel Standard), das von der Wirtschaftsvereinigung Stahl mit Unterstützung aus dem Bundeswirtschaftsministerium entwickelt wurde. Es wird aktuell ausgerollt und orientiert sich am Prinzip der bekannten Energieeffizienzlabel. Bewertet werden unter anderem die CO₂-Emissionen und der Recyclinganteil eines Stahlprodukts – und zwar differenziert nach Herstellungsroute.
Das Ziel: Planer, Verarbeiter und ausschreibende Stellen sollen eine einfache, transparente Entscheidungshilfe bekommen. Denn gerade im Bereich Trägerstahl sind schon heute ambitionierte Nachhaltigkeitsniveaus erreichbar. So können konkrete Ausschreibungslevel definiert und damit auch gezielt nachhaltige Bauprojekte realisiert werden.
Peine Marketing: Wir bedanken uns für das Gespräch, Herr Dr. Schmidt.
Peiner Träger GmbH
- Mitarbeitende: rund 800
- Produktionskapazität: etwa 1 Million Tonnen Stahl pro Jahr
- Länge der zwei Walzstraßen: jeweils ca. 200 Meter
- Umsatz: 651 Mio. Euro (2023)
- Marktanteil: in der EU bei ca. 13 %, in einzelnen Ländern wie der Schweiz oder den Niederlanden über 30 %
- Produktvielfalt: Steghöhen von 100 mm bis 1100 mm